Der Ruf des Meeres, oder ich glaube es nicht, aber ich bin der „Mallorca-Typ.“
In diesem Sommer war ich wie der Hund in „Der Ruf der Wildnis“ von Jack London. Das Meer hat mich gerufen. Ich muss zugeben, ich wollte nicht gehen, aber schließlich konnte ich nicht anders. Das Meer hat mich gerufen. Ich musste los und es war gut so.
Aber ehrlich, wer würde nicht gerne den Sommer auf Ibiza oder Mallorca verbringen? Ehrlich gesagt – ich und mein Mann. Wir sind so gar nicht die Richtigen dafür. Mein Mann ist der Schottland-Typ. Ich bin der Paris-Typ. Wenn man jedoch ein Segelboot besitzt, wird man sofort zu dem „Wo auch immer dich der Wind hinweht- Typen.“ Das ist gut so. Denn es sind nicht unsere Wünsche, die uns in die richtige Richtung führen, das Leben selbst hat für uns seinen eigenen richtigen Weg.
Irgendwie hatte ich keine Lust, auf den Urlaub, auf das Segeln, auf diese Strecke. Denn Segeln, das sind nicht nur schöne Instagram-Bilder, es gibt da auch die andere Seite. Die anstrengende - die langen Überfahrten, steile Welle, frischer Wind, gelangweilte Kinder, ein paar Blitze dazwischen. Die Strecke von Valencia, über Ibiza, Formentera, Mallorca, Menorca nach Sardinien hat halt ein paar Nachüberfahrten dabei, auf die ich so gar keine Lust hatte. Wie auch immer. Am Anfang wollte keiner unserer Freunde mit und so sind wir zu viert in dieses kleine Abenteuer gestartet und dem Ruf des Meeres gefolgt.
Valencia
Wohl kaum könnte man sich einen schöneren Startort vorstellen als die bezaubernde spanische Küstenstadt Valencia. Hier hat unsere Reise letztes Mal geendet, hier sollte sie diesmal beginnen. Sofort wurde mir jedoch klar, dass ich eine gewisse Ambivalenz der Gefühle nicht loswerde. Denn unser Skipper und Papa Jan musste zwei Tage lang vom Boot aus arbeiten. Das deutete, ich verbringe die nächsten Tage mit den Kindern in der Stadt und das mindestens 8 Stunden am Stück.
Zum Glück hat es uns Valencia leicht gemacht. Zahlreiche Museen der Stadt waren nicht nur interessant, sondern auch in der sommerlichen Hitze ein willkommener Ort des Verweilens. („Natural Sciences Museum of Valencia, Museum der Schönen Künste, oder Natural Science Museum of Valencia.) Staatliche Museen sind mit dem Eintritt um 2,- pro Person auch unschlagbar günstig. Wir ließen uns gut gehen, tranken das traditionelle Getränk aus Mandeln „horchata,“ das sehr süß und milchig schmeckt, aßen jede Menge Bocadillos (belegte Brötchen) und Crêpes, fuhren mit dem Family-Cart durch den Turia Garten.
Es war eine wunderbare Zeit und natürlich auch anstrengende, aber das ist wohl das Geheimnis des Glücks, nicht auf die Uhr zu starren, die Momente der Müdigkeit schnell zu überwinden, einfach weiter zu machen, bis es wieder gut wird. Es war wahrlich eine wunderbare unvergessliche Zeit.
Von Valencia nach Ibiza
Länge: 90 sm
Dauer: 20 Stunden
Wetter: Flaute bis 25 Knoten von vorne
Dann kam sie ja auch schon - die erste Überfahrt. Von Valencia nach Ibiza. C.a. 90 sm bis nach Formentera, 18 Stunden wurden eingeplant. Alle mentalen Kräfte wurden aktiviert, der Glaube an die Wettervorhersage und gleichzeitig an die Güte des Poseidons, bzw einfach an gute Zeit an Bord ebenso. Die Unterhaltung für die Kinder in Form von unzähligen Ausmal-, Klebe-, Rätselheften wurde vorbereitet.
Doch wie auch immer positiv die Einstellung sein mag, ändert sie doch nichts an der Realität. Und die Realität war Wetter, das wir uns nicht ausgesucht hätten - nach einer kurzen Flaute, die wir noch versuchten in guter Hoffnung „durchzumotoren“, kam der Wind. Leider genau von vorne, leider mit über 20 Knoten, leider kam dazu auch eine unschöne Welle. Das Boot stampfe dagegen und um die Wahrheit zu sagen, der Aufenthalt an Bord wurde „leicht“ ungemütlich.
Dazu kam noch, dass „etwas“ passiert ist. Es war wohl der Bewuchs, der es sich am Boot in Valencia eingesammelt hat, blieb unsere Vermutung, aber ob segelnd oder unter Motor fuhr das Boot nicht schneller als 4 Knoten. Aus 18 gemütlichen Stunden schienen es 22 ungemütliche zu sein. Positiv gesehen gab es aber einen reinen Sonnenschein, keine Wolken, keine Blitze. Das war wohl das einzige Positive.
Das Boot stampfte. Der Magen auch. An sinnvolle Tätigkeiten an Bord war nicht zu denken. Schon wieder lag ich am Boden im Mittelschiff vor der Toilette, stundenlang. Seekrankheit ist keine schöne Krankheit. Kotzen während steiler Wellen ist keine schöne Tätigkeit.
Die Kinder spürten es und nützten es aus. Nach jedem Toilettengang wird irgendeine Veränderung festgestellt. Am Boden liegt die Verpackung von Schokolade, die da davor nicht lag. Plötzlich sind die Kinder weg. Das Tablett auch. Das ist der Grund, trotz 18 Tage der Atlantiküberquerung, warum ich nicht längere Strecken zu zweit fahren will. Mein Anspruch ist höher, als nur anzukommen. Gegen die Seekrankheit anzukämpfen und die Kinder wenigstens zu beaufsichtigen und wenn nicht zu unterhalten, ist anstrengend, sehr anstrengend.
Diesmal gebe ich auf und lasse einfach die Sachen geschehen. Nächstes Mal soll jemand mitkommen, um diesen Druck zunehmen, für jeden und alles zuständig zu sein, funktionieren zu müssen.
Irgendwann ist es vorbei. Das gilt wohl für alle Lebenslagen. Irgendwann ändert sich alles. Man kommt an und man ist überglücklich. Ja, es war nicht optimal. Ja, wir müssten abkürzen und die nächste Ankerbuch auf Ibiza ansteuern, aber wir sind angekommen. Entgegen aller Ängste - Balearen im Sommer, volle Ankerbuchten - fanden wir sofort ein schönes Plätzchen. Angekommen in der Bucht mit dem schönsten Sonnenuntergang auf der Welt. So hieß es wenigstens im Internet. Dafür lohnt es sich, sich durchzukämpfen.
Ibiza
An den steilen Felsen der Cala dHort haben sich langsam, aber sicher Massen von Menschen versammelt, um sich den Sonnenuntergang anzusehen. Wie sie da oben in einer Reihe standen, konnte ich zwei
Assoziationen nicht unterdrücken. Sie erinnerten mich an Lemminge aus dem Zeichentrickfilm Grizzy & die Lemminge, die bereit sind, sich in die Schlucht runterzustürzen, oder an die alten
Mayas, die wohl so ihren Göttern Opfer brachten.
Es ist für mich eine komische Vorstellung, dass Menschen irgendwo hingehen, um den Sonnenuntergang zu betrachten. Denn ohne Zweifel ist der schönste Sonnenuntergang nur in der Mitte des Ozeans zu
sehen. In dem Moment, wenn sich das Meer und der Himmel berühren und die Sonne, wie eine große strahlende Kugel oder eine riesige Orange in langsamen Schritten im indigoblauen Wasser
verschwindet. Nichts steht dem großen bezaubernden Ball im Wege, keine Berge, Häuser, Menschen. Der perfekte Moment ist einfach unbeschreiblich und doch immer anders. Man könnte jeden Tag die
dahingleitende Sonne betrachten und nie wären die Tausenden Farbnuancen gleich. Nie wäre dieser Moment langweilig.
Komisch und gleichzeitig rührend ist es, dass man in heutiger Zeit, in der jederzeit alles auf dem Bildschirm zu sehen ist, man doch die Mühe nicht scheut, so was Alltägliches und trotzdem
wunderbares wie Sonnenuntergang zu betrachten.
Na ja, was sage ich zu dem Sonnenuntergang auf Ibiza. Irgendwie wenn ich im Blick gleichzeitig meine kleinen Seemänner, überglücklich auf dem geliebten Boot sehe, muss ich zugeben, es war an dem
Tag einer der schönsten Sonnenuntergänge der Welt.
Von Ibiza nach Formentera
Länge: 20 sm
Dauer: 5 Stunden
Wetter: bis 10 Knoten
Nach c.a. 20 sm erreichten wir die kleine Insel Formentera und ankern bei der Platja de Ses Illetes. Manchmal passiert es mir, dass ich den Vergleichen nicht entfliehen kann. Ist es hier wirklich schön, oder war es irgendwo noch schöner? Wenn man viele Strände und Inseln gesehen hat, wird man anspruchsvoll, aber schaut doch genau hin. Es ist wunderschön hier. Betrachtet die Farbe des Wassers, des Sandes - diese Insel sollte man nicht verpassen.
Mallorca
Länge: 70 sm
Dauer:17 Stunden
Wetter: bis 15 Knoten
Bist du ein Typ, der gerne bestimmt? Mit einer Kollegin, Seglerin und Mama hatte ich gerade diese Diskussion. Wenn man die Lage gerne unter Kontrolle hat, ist man an Bord genau richtig. Richtig, um eine Lebenslektion zu lernen - wie lass ich alles gehen und genieße, was kommt.
Wenn man segelt, muss man bleiben, wenn man gehen will und gehen, wenn man gerne bleiben würde. Das Wetter bestimmt über einen. Auf Formentera würden wir gerne länger bleiben. Diese Insel scheint reizend zu sein. Wir haben noch längst nicht alles gesehen, aber das Wetter ist günstig und unser wichtigstes Ziel ist das Boot am Ende des Urlaubs nach Sardinien zu bringen. Also nützen wir die Chance weiter zu gehen. Die Insel läuft schließlich nicht weg.
Sant Elm
Nicht nur wann man geht, auch wohin man fährt, bestimmt der Wind. Da die ganze Zeit der Wind vom Süden oder Osten kam, ergab sich, dass wir die westliche und nördliche Seite der Insel ansteuern mussten. Oh nein, den schönen Süden mit den vielen Stränden werden wir wohl verpassen, war mein erster Gedanke. Dann landeten wir jedoch in Santa Ponsa und ich musste zugeben, es ist wirklich nett hier. Es gibt genug Platz zum Ankern, die Bucht ist gut geschützt. Man hat zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten. Gut, am Strand ist viel los. Mallorca halt.
Sant Elm war kleiner als Santa Ponsa, aber man könnte hier gemütlich einkaufen und vor allem im kristallklaren Wasser schwimmen.
Als wir in der Cala Tuent ankamen, wusste ich: Keine Chance, ich bin der Mallorca-Fan. Wir fanden hier den perfekten Ankerplatz. Und selbst ich - ein verwöhnter Skeptiker musste zugeben: Es ist absolut herrlich hier. Die Nordseite Mallorcas ist steinig und bergig, aber eben nicht so überlaufen, wie die Südseite. Man findet hier zahlreiche kleine Buchten. Man hat die Wahl - klein und einsam, oder groß und überlaufen. Zum Ankern gibt es immer genug Platz, finde ich, aber da ist man natürlich von seinen Erfahrungen stark geprägt. In der Karibik bin ich halt etwas gewöhnt. Mit 60 Meter Kette sind wir ziemlich flexibel, aber über 15 Meter Tiefe mussten wir nie ankern. Vor allem früh morgens und abends wenn die Touristenboote weg sind, gibt es viel Platz.
Die Landschaft ist hier absolut bezaubernd, das Wasser wunderbar blau und man hat hier vor allem morgens auch Momente, wenn man gemütlich, alleine am Strand spazieren kann. Die Kinder liebten es vom Boot ins Wasser zu springen. Ich genoß es, mit dem SUP zu fahren. Jan gefiel sicherlich der ruhige und sichere Ankerplatz. Atemberaubend sieht es hier aus, dachte ich, ich bin der totale Mallorca-Typ. Auf dieser Insel gibt es wirklich alles - Party und Strände, Berge und Einsamkeit. Man kann sich aussuchen, was einem zusagt und in diese Mischung verliebte ich mich.
Cala Tuent
Man könnte in Cala Tuent länger bleiben, wenn man mehr Zeit hätte, wenn man nicht weiter müsste. In zwei Tagen segelten wir nach Menorca los. Nachdem wir jedoch bald 30 Knoten auf die Nase bekamen, verabschiedeten wir uns innerlich mit dem bequemen Plätzchen in der Marina und steuerten die Bucht von Cala Sant Vincent an.
Wau. Ich fühle mich hier, wie mitten in einem schönen Gemälde schoß mir durch den Kopf, als ich auf dem Berg stand und die ganze Landschaft überblickte. Die Berge, das Farbe des Meeres, aber auch das Städtchen begeisterten mich. Man kann hier vom Boot ins kristallklare Wasser springen und die herrliche Einsamkeit genießen, aber auch in der Stadt alles Mögliche besorgen. Na ja, es ist hier nicht billig, aber dafür gibt es frisches Brot und Eis. Was braucht man mehr an einem sonnigen Tag am Strand?
Schnorcheln, schwimmen, SUP-fahren, oder die Tretboote mieten - wir haben alles davon gemacht.
Cala Sant Vincent
Von Mallorca nach Sardinien
Länge: 250 sm
Dauer: 2-3 Tage
Wetter: 4-15 Knoten
Dann kam der Tag. Das Wetter schien bald gut zu sein. Es war an der Zeit, nach Sardinien zu segeln. Wie schon gesagt - ich hatte keine Lust. Ich setzte Himmel und Höhle in Bewegung, um nicht „allein“ fahren zu müssen. Trotz mehrerer Zusagen, klappte es am Ende nicht. Keiner wollte, oder konnte mit. Was nun? Ich hatte das Gefühl, dass sich einfach das wiederholt, was ich schon oft erlebt habe. Manchmal kommt man irgendwie nicht alleine raus. Aber wozu hat man dann Freundinnen? Ich fragte eine erfahrene, liebe Freundin nach Rat und sie zeigte mir den Weg: Nimm alles so an, wie es kommt. Es soll so sein. Atme durch.
In dem Moment verstand ich, dass es mein Weg ist. Das Meer hat mich gerufen. Es war nicht gerade das, wozu ich Lust hatte, aber es war das, was für mich bestimmt war. Ich sollte da sein, ich sollte es erleben, ich sollte etwas lernen und ich sollte wachsen.
Ich entschied mich zu fahren. Ich entschied mich, die Verantwortung für diese Fahrt zu übernehmen und alles anzunehmen, was auch kommen mag (Wer länger segelt, weiß, dass es Einiges von jeder Sorte sein kann).
Es gibt immer Momente, die nicht prickelnd sind, vor allem am Abend wenn man müde ist, wenn die Kinder aufgedreht sind, oder …., aber es gibt eben auch Momente, die man nicht verpassen will. Die vielen kleinen und großen Sachen - die Lieder, die man im Cockpit singt, die Geschichten, die man den Kindern erzählt, das gemeinsame Kochen und Essen, Basteln und Lesen, Sundownern. Die Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge.
Ich bin unruhig, super aktiv und super kontrolliert, aber irgendwann, wenn ich die glänzende, unendliche blaue Wasseroberfläche betrachte, werde ich ganz plötzlich eins mit mir. Ich fühle mich sicher und geborgen. Ich fühle mich überwältigt von der Schönheit des Meeres.
Ich weiß, das Meer hat mich gerufen. Es war für mich bestimmt, dies zu erleben, loszulassen, aufhören zu denken, alles zu kontrollieren und einfach da zu sein.
Manchmal habe ich das Gefühle, dass das Meer zu mir spricht, um mir zu sagen: Schau mal. Alles ist gut. Alles ist so, wie es sein soll.
Oh nein, ich würde es nicht vermissen wollen, mit meiner Familie mitten im Meer zu sein. Auch wenn es für mich nicht einfach ist, mein Platz ist genau hier.
Sardinien
Es ist ein berauschendes Gefühl dort anzukommen, wo man hinwollte. Ich meine, mit dem Segelboot anzukommen, denn es ist nicht so selbstverständlich, wie mit einem anderen Verkehrsmittel. Wenn man an einem wunderbaren Ort wie Fertilia ankommt, ist man noch glücklicher. Sardinien ist wunderbar, aber das ist eine andere Geschichte.
Dieses Jahr habe ich es geschafft. Ich bin von „irgendwie keine große Lust“ bis „wau, ich kann es“ gegangen. Das Leben ist wie ein Fluss, immer anders und das Segeln auch. Mal ist man total begeistert und euphorisch, mal muss man sich durchkämpfen.
Ich habe das Gefühl, dass ich dieses Jahr gewachsen bin. Ich habe was Wichtiges gelernt und das Meer hat mir dabei geholfen. Mal sehen, was auf mich noch wartet, welche Abenteuer, welche „spannenden Situationen.“ So lange ich segeln werde, kommt definitiv beides.
Aber wie unsere lieben Freunde und Segler eines anderes Kalibers sagen:
Breath, smile and go slowly.
Das würde ich jedem Segler/Seglerin, aber auch jedem Menschen empfehlen.